Höllengeier über dem Einsteigerabenteuer

Ein wenig überraschend traf ein unangekündigtes Werk im Heimeligen Feurigen Berg ein: ein 20-seitiges Heft mit Einsteiger-Kurzregeln und einem Einführungabenteuer. Und dringend wäre es auch noch, meinte Ersatz-Sauron Andy, da es am besten noch zu Essen zusammen mit dem Heldentagebuch herauskommen solle. Er würde es auch bestimmt keine drei Monate zurückhalten wie den Sichtschirm...

Aber wenden wir uns doch wieder dem Einsteigerabenteuer zu. Auf der vorderen inneren Umschlagseite findet der belese Archivgeier Altbekanntes wieder: "Was ist ein Rollenspiel?", nahezu identisch mit dem Text aus der ersten Einsteigerbox und nur dort an das neue Produkt angepasst, wenn es wirklich gar nicht mehr anders ging. der erfahrene Höllengeier springt nach unten, zu einem ganz bestimmten Punkt - und siehe, da stehen sie noch, die beiden bezaubernden Sätze, die wir schon damals aus der Übersetzung gestrichen und auch nun nicht wieder hineingenommen haben... Auf Deutsch findet man sie nur hier bei Höllengeiers und sonst garantiert nirgends: "Das beste aber ist, dass du nun nicht mehr auf deinen flackernden Computermonitor angewiesen bist, um die Orks explodieren zu sehen, wenn du sie in Stücke haust. Nun kannst du dir ihren Todeskampf bildlich vorstellen." Da lacht das Höllengeierherz, das schwarze...

Nach einer kurzen Einführung geht es dann weiter mit den Einsteigerkurzregeln. Auch die kennen wir schon, standen sie in ihrer Urform doch ebenfalls in der ersten Einsteigerbox und in hier hier vorliegenden überarbeiteten Form in der zweiten. Auch hier wurde nur dann etwas geändert, wenn es vom Beispiel her absolut nicht mehr adners ging (es ergibt wenig Sinn, Frodos Spieldaten zur Illustration heranzuziehen, wenn es im ganzen Abenteuer keinen Frodo gibt). Entsprechend merkt man den Regeln eine gewisse Zusammengeschustertheit an. Erst werden die Regeln ganz kurz eingeführt, um dann, bei der Beschreibung des Charakterblattes, noch einmal in ausführlicherer Form dargestellt zu werden. So erfährt man (ganz im Stile der Kurzregeln der ersten box) unter "Wunden", dass es einen Vrwundungswert gibt, dessen Punkte abgestrichen werden, wenn man Schaden nimmt; erst anderthalb Seiten weiter erfahren wir im Eintrag "Gesundheit und Erschöpfung", wie das im Spiel wirklich geht. Der "Verwundungswert" hat sich an dieser Stelle schon klammheimlich verabschiedet.

Von der Sorte gibt es ein paar, und an gar mancher Stelle verweisen die Kurzregeln entweder auf das Vollregelwerk oder auf die Phantasie von Spielern und Erzählerin (die übrigens bösartigerweise zum Erzähler mutiert ist, was der Alpha ebenso bösartigerweise bei der Übersetzung ignoriert hat). Ein hübsches Beispiel dafür ist der Eintrag zu Berufungs- und Volksfähigkeiten, der uns aufklärt, dass sie in bestimmten Spielsituationen bestimmte Bonusse und/oder Vorteile geben könnten. ja, nun.

Als nächstes schließen sich drei vorgefertigte Charaktere an, die direkt für das Abenteuer konzipiert sind; mehr als drei Spieler ist nicht wirklich vorgesehen. Im Einleitungsabschnittt zu diesen Charakteren steht nun, dass die oben erwähnten Volks- und Berufungsfähigkeien entweder schon in die Spieldaten der Beispielcharaktere eingerechnet wären oder man sich ihre wirkung doch aufgrund des Namens ganz einfach vorstellen könne. Die Charaktere sind fast fertig; der Spieler muss noch einige Fertigkeitspunkte verteilen (und die Zauber des Magiers aus einer Liste mit acht Zaubern auswählen), und hoch fliegt der Höllengeier... äh... und los kann's gehen.

Die Charaktere sind zwei Menschen (Spitzbube und Krieger) sowie ein Waldelb (Magier). Ob diesmal weibliche Charaktere dabei sind? Nein, wieso? Decipher hat noch nie weibliche Beispielcharaktere geliefert, warum sollten sie also gerade jetzt damit anfangen? So richtig nachvollziehbar ist das immer noch nicht, und auch die (diesmal schwarz-weißen) Zeichungen sind nicht wirklich dazu geeignet, ein freundliches "Dann mach' doch eine Frau daraus!" zu unterstützen. Aber da das Abenteuer im Krieg spielt, ist es vielleicht nichts für Frauen. Vielleicht hat Marktforschung von Seiten Deciphers auch ergeben, dass keine Frauen des Rollenspiel kaufen. Wer den Grund weiß, sage ihn dem Archivgeier.

Ach ja... das Abenteuer. Es spielt im Jahre 3018, zu Beginn des Ringkrieges. Die Charaktere sind Freiwillige, die bei der Truppe dienen, die die Dammfestungen von Osgiliath verteidigt. Der Befehlshaber vor Ort schickt sie mit einem Hilfeersuchen an Faramir nach Henneth Annûn, da sie am entbehrlichsten sind und so weiter. Die Idee ist ganz nett und gerade jetzt, zum Zeitpunkt des Erscheinens der DVD zum zweiten Film, ganz passend, denn wer diesen Film gesehen und das Abenteuer gespielt hat, weiß nun, warum Faramir gerade jetzt in Osgiliath auftaucht - eben: weil die Helden Erfolg hatten und ihm die Botschaft überbracht haben...

Da es sich um ein Einsteigerabenteuer handelt, besteht "Der Weg nach Henneth Annûn" letztlich aus drei einfachen Szenen, die allesamt recht ausführlich beschrieben werden, damit es neue Spieler und Erzählerinnen so einfach wie möglich haben. Bei der ersten Begegnung muss man kämpfen, bei der zweiten kann man es und bei der dritten sollte man es eher nicht. Dann trifft man hoffentlich Faramir und erhält einen Ausgangspunkt für eine ganze Chronik im Süden Gondors (und eine Belohnung).

Für ein Abenteuer von Decipher ist "Der Weg nach Henneth Annûn" erstaunlich fehlerfei, sieht man von ein wenig Kleinkram ab. Aber zwei Sachen finden sich dann doch: Die doch seit eher erst einem halben Jahr bekannten Errata zu werden Waffenschäden sind noch nicht berücksichtigt, und an einer Stelle wird zwar groß und breit über die Kampftaktik einer Gruppe von Gegnern referiert, aber leider nie erwähnt, wie viele es denn nun genau sind... Es erübrigt sich zu sagen, dass der Alpha dafür gesorgt hat, dass das in der deutschen Ausgabe alles stimmt. Leider spielen die glorreichen und majestätischen Höllengeier noch nicht einnmal die geringste Rolle (obwohl sie zur Handlungszeit des Abenteuers doch in genau dieser Gegend unterwegs waren), was schon schade ist. Wenigstens ein Kurzauftritt hätte es doch werden können, so ein kleiner Vorbeiflug weit oben (dafür hat es ja selbst im Mannheimer Turnierabenteuer gereicht... ups, jetzt hat Junior geplappert - zurück zu deiner neuen Büste "Hexenkönig auf Höllengeier"!)

Fazit:Sechs von neun Höllengeiern würden sich dieses Produkt kaufen (wenn es denn käuflich erhältlich wäre, was keiner so genau weiß, da es auf dem GenCon wohl umsonst verteilt wurde). Die anderen drei sind der Ansicht, dass sie die Kurzregeln nicht noch einmla brauchen (zumal zwei davon sie sich schon beim letzten Mal in Form der zweiten Einsteigerbox nicht gekauft hätten). Immerhin führt das Beispielabenteuer gut in die Regeln ein, so dass auch die letzten drei Höllengeier es zumindest lesen würden, wenn man es ihnen schenkte.

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