Höllengeier über Oxford

Es wird wieder einmal Zeit für einen Reisebericht, der nicht nur erneut zeigt, wo man doch als Höllengeier so alles herum kommt, sondern auch, dass manchmal freundlich sein zu durchaus ungewohnten Erfolgen führt ("Sage ich doch schon immer!", meint der Gewissensgeier; "Alles Zufall!", behauptet der Grobgeier). Doch der Reihe nach...

Nachdem Éowyn und die Höllengeier gerade aus Ägypten zurück gekehrt waren (eine Woche Luxor, zu der es zwar eher viel zu berichten gibt, aber doch nur wenig von Höllengeier-Relevanz, sieht man davon ab, dass der Geschichtengeier am liebsten ganz dort geblieben wäre, Junior sich im Karnak-Tempel verlaufen hat und sich der Archivgeier den Zorn von Frau Éowyn zuzog, als er darauf bestand, trotz Urlaub die Druckfahnen des deutschen Gefährten-Quellenbands durchsehen zu müssen - Originalton: "Du spinnst doch! Du bist hier in Urlaub!"), ging es drei Tage später auch schon wieder weg aus dem Heimeligen Horst, und zwar nach Oxford. Nachdem die Geier sich zuvor noch lieber dem ägyptischen Horus als der beim letzten Mal eher etwas flügellahmen British Airways anvertraut hatten, wurde für den Flug nach England dann doch wieder ein BA-Geier gewählt (immerhin ging es nicht zu deren Heimatflughafen London Heathrow, sondern nach Gatwick, was die Wahrscheinlichkeit eines Streiks doch etwas senkte).

Auf dem Programm stand der Besuch des Oxonmoots, des Jahrestreffens der Tolkien Society. Trotz der 25 Jahre, die es dieses Treffen schon gibt, haben Éowyn und die Geier es doch erst letztes Jahr so richtig wahrgenommen und waren zum ersten Mal dort. Damals war das alles ein wenig hektisch, da wir am Vortag aus Wales kamen und schon am letzten Tag des Treffens wieder abreisen mussten, weshalb das diesmal großzügiger geplant wurde: Anreise am Mittwoch, Abreise am Dienstag. Die Reise verlief diesmal durchaus angenehm (abgesehen von Feinheiten wie der, dass neun Höllengeier deutlich schwerer pünktlich an einen Ort zu schaffen sind wie eine Éowyn und "Wir treffen uns so gegen 9 am Flughafen" durchaus auch als "Oh, es ist 20 nach 9; kann ich etwas dafür, dass die Shuttles zum Terminal 2 nur alle 10 Minuten fahren?" ausgelegt werden kann), und nach zwei Stunden Zugfahrt und einem hastigen Abstecher in die Verwaltung der Universität (Frau Éowyn wollte einige Bücher für ihre Dissertation einsehen, und die Oxforder Bibliotheken sind für Außenstehende fast so schwer zugänglich wie das heimelige Mordor) sowie einem Begrüßungspint Young's waren wir in unserem gemütlichen kleinen B&B eingenistet und hatten noch ausreichend Zeit bis zum Veranstaltungsbeginn am Freitag.

Oxford ist tückisch. Man fällt vom B&B in den Bus, fährt zwei Stationen und steht in der Innenstadt. In der Ladenzone, um genau zu sein. Natürlich gelten auch in Oxford die an anderer Stelle gemachten Anmerkungen zur Verfügbarkeit von Starbucks-Zweigstellen, aber am schlimmsten war das Starbucks im Buchladen Borders (ganz zu schweigen von der heimtückischen Teachers' Weekend, an dem Lehrer 15% Rabatt bekamen; tragisch, tragisch...). Und direkt gegenüber dem Borders war ein Waterstones, und Oxford ist das Heim von Blackwells und Oxbow undundund... äh, ja. Klappe, Archivgeier. Geh zurück zu deinen Büchern; genug gekauft hast du ja.

Wer jetzt aber denkt, wir hätten nur eingekauft, der irrt. Nein - wir fanden auch der Welt bestes libanesisches Restaurant (außerhalb des Libanons zumindest, nehme ich an), komplett mit Wasserpfeife nach dem Essen, und wurden ab jetzt jeden Abend dort gesehen. Sehr hübsch. Und Frau Éowyn war zweimal in der Bibliothek (jeweils fast einen Tag lang, um fair zu sein), während die Geier zwischen Borders-Starbucks und dem King's Arms hin und her zogen, um auf den Archivgeier aufzupassen, der vorgab, einen Artikel über die Londoner Unterwelt für eine Cthulhu-Publikation zu schreiben, sich in Wahrheit aber wohl nur mit Young's (dem zweitbesten Bier der Welt; das beste ist Theakston's Old Peculier) volllaufen lassen wollte. Und damit wir hier den Faden nicht ganz verlieren, sei erwähnt, dass Éowyn am Donnerstag Abend eine Geierdelegation zu St. Hugh's College schickte (wo das Oxenmoot stattfand), um die Unterlagen abzuholen.

Am Freitag hielt sich das Programm in Grenzen, und so beließen wir es bei einem kurzen Besuch zum Mittagessen (die Wahrscheinlichkeit, dass Richard Finn uns viel Neues über "Arthur & Aragorn: Arthurian Influence in 'The Lord of the Rings'" hätte sagen können, erschien uns gering) und widmeten uns statt dessen der Ausstellung des Ashmolean über Ägypten (sehr hübsch aufbereitet und auch für kleine Juniors geeignet). Für den Abend hatten wir uns für das große Welcome Dinner angemeldet (für 23,50 Pfund pro Person, weshalb wir nur Éowyn und den Alpha angemeldet hatten), gerieten dann aber in einen bösen Gewissenskonflikt, als wir erfuhren, dass am gleichen Abend im libanesischen Restaurant (wen's interessiert: Restaurant du Liban. 1-5 Broadstreet, OX 1) Bauchtanz angesagt war. Hm... Zum Glück waren da diese beiden Hasis, zum ersten Mal da und noch kontaktarm, die verzweifelt Tickets für das Welcome Dinner suchten. Also trennten wir uns netterweise von unseren Tickets, hinterlegten sie an der Information und eilten von dannen, in der Hoffnung, am nächsten Tag (der durchaus ein interessantes Programm aufwies) 47 Pfund einzukassieren und zwei First Timers glücklich gemacht zu haben. Also auf zu Bauchtanz und Wasserpfeife.

Der Samstag verlief indes nicht ganz so glücklich, und das aus mehreren Gründen. Zum einen hatten die beiden Hasis die Tickets dann gar nicht mehr kaufen wollen, als sie den Preis erfuhren (den sie im Programmheft wohl überlesen hatten). Christine, die ausgesprochen nette Verantwortliche für die Anmeldungen, versprach uns, sich nach einer Möglichkeit für uns umzusehen, unser Geld trotzdem zurück zu erhalten. Damit aber nicht genug. Es begab sich folgendes:

Ein junger Mann, der Gewandung nach ein nach Mittelerde verirrter Wikinger ohne Helm (aber mit Trinkhorn) kommt unsicheren Schrittes in den Aufenthaltsraum, redet kurz mit Christine und bedient sich dann am Tee-Büffet. Frau Éowyn, die sich mit englischem Tee besser auskennt als so mancher Eingeborene, gibt ihm einen freundlichen Tipp, und der junge Mann (am weißen Button als First Timer zu erkennen) lässt sich mit blassem Gesicht in einen Sessel fallen und erzählt auf Anfrage stockend (und mit deutschem Akzent), dass es ihm gar nicht gut gehe und er wohl etwas falsches gegessen habe. Als ein anwesender Fernsehjournalist die Angelegenheit mit seiner Insistenz auf einen Blinddarmdurchbruch des jungen Mannes (er heißt Tobias und ist Teil der neunköpfigen Delegation der Deutschen Tolkien-Gesellschaft) nicht unbedingt vereinfacht, schalten wir uns ein und erfahren die Geschichte der Gruppe Deutscher, die am Vorabend bei "Hussain's Fast Food" (einem fahrbaren Kebabstand; die sind in Oxford gar nicht selten) gegessen hat und nun in Teilen mit Magenproblemen kämpft. Betroffen ist außer Tobias noch Sandra S., die Freundin des DTG-Vorsitzenden Marcel B., die allerdings gerade mit Kohletabletten die Zeit in ihrem B&B verbringt. Mit der Zeit wächst der Verdacht auf eine Lebensmittelvergiftung, und ein Arzt wird gerufen. Tobias weigert sich standhaft, ein Krankenhaus aufzusuchen (er arbeitet bei einer Krankenkasse, weiß also, was er tut), und Sandra, vom eilfertigen Gewissensgeier über Handy angerufen, ist der Ansicht, dass Ruhe, Kohletabletten und Fernsehen sie schon wieder auf die Beine bringen würden, und es ginge ihr ja schon wieder besser. Zwischenzeitlich unterhalten sich vor dem Raum die verantwortliche Leiterin der Veranstaltung und die Koordinatorin der Helfer, und es fällt der legendäre Satz: "We're getting a doctor. He doesn't look good and I don't want his death on my Oxonmoot!" (Na gut, das waren zwei Sätze.) Während die Höllengeier aussschwärmen, um die anderen Mitglieder der DTG-Reisegruppe zu suchen, trifft der Arzt ein und entscheidet, dass Tobias in die Notaufnahme ins Krankenhaus muss. Neben Christine geht auch Éowyn mit, da sie der Ansicht ist, es müsse ja jemand für den armen Tobias, dessen medizinisches Englisch nicht wirklich für solche Notfälle ausreicht, dolmetschen. Die Geier bleiben im College, um als Kontaktstation zu dienen, falls denn etwas passieren oder weitere Entscheidungen nötig werden sollten.

Man könnte daraus schließen, dass Éowyn vom Rest der Tagesveranstaltungen wenig mitbekommt. Man hätte damit Recht. Die Geier tummeln sich derweil in einer (gar scheußlichen) Kaffeesatzleserei über den dritten Film und einem großartigen Vortrag von Caspar Reiff, dem Gründer des Tolkien Ensembles (Junior jagt derweil die drei grauen Eichhörnchen, die er im Park des Colleges sieht, aber die sind zu flink für ihn; ein Bild das Jammers). Ab und an schickt der Alpha Éowyn eine SMS ("Bin gerade da und dort, Handy jetzt für eine Stunde aus), ab und an beruhigt der Gewissensgeier die anderen DTG-Mitglieder ("Sie hat noch nicht angerufen, es kann also nichts Schlimmes passiert sein!"). So vergeht die Zeit, und gegen 18 Uhr sind Éowyn, Christine und Tobias wieder da. Sein Blinddarm ist noch 'drin, denn es war tatsächlich eine Lebensmittelvergiftung. Die Notaufnahme in englischen Krankenhäusern ist ohnehin nicht wirklich flink (so man nicht gerade den Boden voll blutet), und eine Transfusion dauert halt ihre Zeit.

Am Abend ist die große Party. Tobias hält sich tapfer, muss aber hin und wieder verschwinden. Sandra ist nicht wieder aufgetaucht. Zwei weitere DTG-Mitglieder zeigen nun ebenfalls Anzeichen der Lebensmittelvergiftung, und gewisse Aufbauschungserscheinungen machen die Runde. Auf der Party selbst sieht man Ted Nasmith als Sänger sowie eine durchaus beeindruckende Kostümshow, und Erzählerin Pat trägt eine Version von Sir Gawain and the Green Knight vor, die selbst dem mediävistisch geschulten Archivgeier und der nicht minder erfahrenen Éowyn mehr als nur ein Schmunzeln abringt. Gegen 11 Uhr ist aber Schluss, und Geier nebst Éowyn wanken zurück zum College Guest House.

Am nächsten Morgen klingt das Oxonmoot so langsam aus. Auf dem Programm steht nur noch eine kleine Gedenkfeier an J.R.R. Tolkiens Grab, und danach darf eine erlesene Zahl an Gästen (die mindestens seit vier Jahren Mitglied der Tolkien Society sein müssen und ansonsten ausgelost werden) Priscilla Tolkien, des Professors Tochter und Schirmherrin der Society, in ihrem Heim besuchen. Als Éowyn und die Geier auftauchen, verkündet ihnen Marcel B., dass Frau Éowyn aufgrund ihres selbstlosen Einsatzes vom Vortag ausersehen worden wäre, entgegen allen Bestimmungen auch zu Priscilla fahren zu dürfen (Tobias darf natürlich auch mit). Als die Busse für die Fahrt zum Friedhof anrücken, begeben wir uns unauffällig in die Nähe von Christine, und siehe da, sie hat tatsächlich schon auf uns gewartet, um Frau Éowyn genau selbige freudige Nachricht zu übermitteln (und ihr ein Ticket für "Priscilla's At Home" zu übergeben). Auch ein Repräsentant der Geier darf mit, da die ja einen ganzen halben Tag auf ihre Éowyn hatten verzichten müssen. Der Archivgeier ist schon halb im Bus, als ihn der Alpha mit einem barschen "So weit kommt's noch!" wieder hinaus zerrt.

Und so fahren wir nach einer stimmungsvollen Trauerfeier zum Haus von Priscilla Tolkien. Das ist toll, und Priscilla ist sehr nett (aber das wussten wir vom letzten Jahr her schon). Wir sind ein wenig eingeschüchtert, durch ein Haus zu laufen, in dem Gegenstände aus Tolkiens persönlichem Besitz stehen, und irgendwie kommen wir vor lauter Staunen und Beeindrucktsein gar nicht so richtig zum Photographieren; die wenigen Bilder, die wir gemacht habem gibt es hier. Viel zu schnell ist die Zeit vorbei, und noch nicht einmal für ein Bild mit Priscilla hat es gelangt. Zurück im College, erhalten wir von Christine sogar unsere 47 Pfund zurück (immerhin gilt Frau Éowyn jetzt als selbstlose Heldin der Veranstaltung, und das zu Recht; der für Tee und Kaffee Verantworliche öffnet gar eigens für sie eine Flasche Wein von Sainsbury's), und da kann der Abend im Restaurant du Liban angemessen ausklingen.

Am nächsten Tag gibt es noch einmal Bibliothek (für Éowyn) und unterirdisches London im Pub (für den Archivgeier), und am Dienstag geht es dann wieder zurück in den Heimeligen Horst, diesmal ganz ohne vom Bodenpersonal behinderte BA-Geier. Ein wenig mulmig wird uns zwar kurz, als sich BA über Lautsprecher dreimal für die Verzögerungen entschuldigen, aber dann stellt sich heraus, dass es nur um die (eigentlich durchaus vertretbar langen) Schlangen vor den Abfertigungsschaltern geht... Und nächstes Mal sind wir wieder da.

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