Höllengeier über dem Quellenbuch Die Gefährten

Das Quellenbuch Die Gefährten (bzw. The Fellowship of the Ring Sourcebook, wie es im Original heißt) ist ein Hardcover mit 128 Seiten in der mittlerweile bekannten Decipher-Qualität. Auf dem Cover ist ein Bild von der Ringgemeinschaft bei der Verabschiedung aus Bruchtal, das (ironischerweise) aus der Special Extended Edition stammt. "Ironischerweise"? Nur Geduld, sonst kommt der Sarkasmusgeier vorbei.

Der Klappentext erläutert uns, was man in diesem Buch findet:

Das Inhaltverzeichnis gibt sich Decipher-typisch eher aussagelos, und unser Jüngster hat sich schon gewundert, was das denn wieder würde:

Introduction 4
Chapter One: Following the Journey 8
Chapter Two: People 20
Chapter Three: Places 82

Kurz und schmerzlos also, und diesmal sogar das richtige Inhaltsverzeichnis (nicht wie beim Sichtschirm für die Erzählerin. Zum Glück ist der Inhalt des Buches deutlich aussagekräftiger...

Gleich zu Anfang finden wir, versteckt zwischen Introduction und Following the Journey zwei schöne ganzseitige Landschaftsbilder aus der Höllengeierperspektive (Bruchtal und Tol Brandir), dazu einen (ebenfalls ganzseitigen) lecker Hobbit (wenn auch etwas alt und zäh - also Bilbo - aber der Höllengeier ist da nicht so wählerisch). Generell wird es niemanden verwundern, wenn der Band wie üblich umfassend mit Filmbildern illustriert ist, die (fast) alle beschriebenen Personen, Orte und Gegenstände abdecken.

Following the Journey ist das kürzeste Kapitel. Es fasst zuerst ziemlich ausführlich auf fünf Seiten die Handlung des ersten Teils des Romans (Buch I und II) zusammen (wobei leider auch wieder einmal die Tolkiensche Propagandalüge gefördert wird, ein Elb namens Legolas hätte einen Höllengeier abgeschossen - die seriöse Höllengeiergeschichtsschreibung neigt indes laut Archivgeier dazu, dies in den Bereich der Fabel zu verweisen); danach folgt eine ähnliche lange Zusammenfassung des Films (leider ganz ohne Höllengeier, aber das war ja zu erwarten), die auch auf die Änderungen und Auslassungen bei der Verfilmung hinweist. Leider beziehen die Anmerkungen zum Film die Special Extended Edition nicht ein, die manche der hier zu findenden Aussagen relativiert. Aber es ist doch immer wieder schön, sich gewisse Szenen wieder einmal vor Auge zu führen, bespielsweise das klägliche Schicksal der neun Pferde an der Bruinenfurt - hätten die Nazgûl damals schon Höllengeier gehabt, wäre das alles anders ausgegangen! Die Geschichte des Dritten Zeitalters hätte in großen Teilen neu geschrieben werden müssen!

Doch weiter. Wie selbst unser Jüngster schon weiter oben sehen konnte, nimmt das Kapitel People den größten Teil des Bands ein. Eingeleitet durch das Bild des gestürzten Elendil mit zerbrochenem Narsil aus Bruchtal, gleicht es ein wenig dem Kapitel mit den Nichtspielercharakteren im Grundregelwerk (leider fehlen aus den bekannten Gründen die Höllengeier), und manchmal werden Spieldaten auch von dort wiederholt (Saruman, Gollum), allerdings mit einem anderen Hintergrundtext. Es findet sich nahezu alles, was in Buch und/oder Film Rang und Namen hat: Aragorn, Arwen, Bilbo Beutlin, Frodo Beutlin, Tom Bombadil, Boromir, Meriadoc Brandybock, Gerstenmann Butterblume, Celeborn, Elendil, Elrond, Galadriel, Sam Gamdschie, Gandalf der Graue, Gil-galad, Gimli, Glóin, Glorfindel, Goldbeere, Gollum, Gwaihir, Isildur, Legolas, Lurtz, Saruman der Weiße, Sauron und Peregrin Tuk. Eine hübsche und nahezu vollständige Sammlung, und die Höllengeier als alte Hobbit-Fans vermissen eigentlich nur Bauer Maggot und (insbesondere) Rosie Hüttinger.

Die Einträge sind immer gleich aufgebaut: Sie beginnen mit einem Zitat (das zu Boromir ist aus dem Film, eine Premiere im Spiel), führen dann die Spieldaten auf und geben danach Hintergrundinformationen - unter Umständen zwei, nämlich immer dann, wenn sich der Charakter in Buch und Film unterscheidet. Letztlich fehlen auch Angaben zum Einbau der beschriebenen Figur ins Rollenspiel nicht, was gerade bei etwas mächtigeren Charakteren wie Aragorn, Elrond (150 Aufstiege!) und Galadriel nicht ganz unwichtig ist. Vielen der Charaktere sind zudem Kastentexte mit Informationen zu Gegenständen oder sonstigen Besitztümern zur Seite gestellt, z.B. Andúril bei der Beschreibung Aragorns oder Lutz im Eintrag von Sam. Manchmal kommt es dabei zu Nachdrucken aus dem Grundregelwerk, die teilweise (z.B. beim Einen Ring) recht umfangreich sind, aber das hält gerade unser Jüngster das für besser als dauerndes Hin- und Herblättern (unser Archivgeier sieht dies natürlich anders...). Es werden erfreulich viele Details berücksichtigt - sogar Aiglos, der Speer Gil-galads, ist ausgearbeitet, und auch Spieldaten für Asfaloth fehlen nicht. Sehr hübsch ist auch der neue Zauber Faust des Zauberers, der eingeführt wurde, um das Duell zwischen Gandalf und Saruman aus dem Film regeltechnisch nachvollziehen zu können (auf so etwas steht unser Archivgeier).

Die Spieldaten sind, laut Einleitung dieses Kapitels, auf den Zeitpunkt des Endes des ersten Buches/Filmes angelegt (bzw., im Falle von Elendil und Gil-galad, Ende des Zweiten Zeitalters). Manchmal verwundert dies schon ein wenig, wenn z.B. Pippin und Merry trotz Moria und Hügelgräberhöhen nur jeder einen Aufstieg hinter sich haben, Sam aber deren 2 und Frodo 6. Gegenüber der ersten Einsteigerbox wurden die Spieldaten teilweise auch von den Grundwerten her deutlich überarbeitet (Aragorn, Boromir, Gandalf, Gimli, Legolas), teilweise aber auch fast unverändert beibehalten (Frodo, Merry, Pippin, Sam). Teilweise ist dies eine gute Sache (Boromir ist Aragorn von den Spielwerten her jetzt nicht mehr gleichwertig, außer im Nahkampf, aber das passt ja), teilweise aber auch nicht (die Hobbits haben, mit Ausnahme von Frodo, immer noch erschreckend schwache Werte, und Sam mit Auftreten und Geisteskraft von jeweils 4 zu schlagen, finden wir nach wie vor nicht fair - hey, der konnte sich mit Frodo zusammen ganz schön lange vor uns verstecken! Und lasst uns jetzt nicht über den kleinen Unfall bei Osgiliath reden, ja?)

Ansonsten aber machen sich die Spieldaten meist ganz gut. Ganz besonders ist die Mühe zu würdigen, die Autor Matt Forbeck sich bei den Hintergrundanmerkungen gegeben hat, insbesondere bei Charakteren, die in Buch und Film unterschiedlich dargestellt sind. Wir würden ja sagen, dass wir uns in dieser Hinsicht schon alle auf Faramir aus dem nächsten Band freuen, doch hat er ja unserem armen Bruder in der Jacksonschen Kriegspropaganda den Pfeil in die Weichteile geschossen, und das war gar nicht nett.

(Der Archivgeier möchte auch noch etwas loswerden. Es missfällt ihm, dass bei den Angaben zu den Drei Ringen nur die Träger zum Zeitpunkt der Handlung dargestellt sind, nicht aber die ursprünglichen (Círdan statt Gandalf und Gil-galad statt Elrond; er meint - der Archivgeier, nicht Elrond! -, dass auf diese Weise auch die weniger gebildeten Kinogänger verstehen würden, wer der dritte Elb zu Beginn des Prologs ist. Außerdem beschwert er sich, der Autor würde manchmal den Film falsch interpretieren - wenn er beispielsweise sagt, Galadriel habe im Film außer Frodo niemanden geistig berührt, wo doch Boromir das genaue Gegenteil aussagt -, aber dann wiederum trägt der Archivgeier nicht zu unrecht auch den Namen "Puristengeier".)

Also fliegen wir schnell weiter zu den Places, eingeleitet mit einer Großaufnahme der Anárion-Statue der Argonath. Vorgestellt werden die folgenden Orte: die Argonath und die Raurosfälle, die Hügelgräberhöhen, die Bockenburg-Fähre, Hobbingen und Beutelsend, Isengart, Lothlórien, Moria, der Alte Wald, Zum tänzelnden Pony, Bruchtal, der Rothorn-Pass, die Wetterspitze.

Auch in diesem Kapitel ist ein Einträgen eine einheitliche Struktur gemein. Einem Zitat aus dem Roman folgt ein Überblick, danach die Darstellung von Einzelaspekten, wichtigen Bewohnern und Abenteuervorschlägen. Die wichtigen Personen (in Hobbingen z.B. Lobelia, Lotho und der Ohm) sind mit Kurzspieldaten vorgestellt, und bei den Abenteuervorschlägen (die selten länger als ein Absatz sind) gibt es Angaben, ob die Autoren ein kurzes, mittellanges oder langes Abenteuer erwarten. Auch hier gibt es wieder Zusatzangaben in Kästen (so Spieldaten für Elbenboote im Abschnitt über die Raurosfälle oder über Dúnedain-Klingen bei den Hügelgräbern). Es gibt eine halbe Seite über Pfeifenkraut, und der Wächter im Wasser erhält jetzt seine in der ersten Einsteigerbox schmerzlich vermissten vollen Spieldaten (und auch der Alte Weidenmann ist da). Das Detailniveau ist recht hoch und macht auch vor einer Liste der Preise im Tänzelnden Pony nicht halt. Der Archivgeier vermisst gelegentlich wieder etwas (so eine taugliche Karte von Bree; es gibt aber immerhin eine vom Breeberg mit einer Grobkarte - und natürlich einen Lageplan des Tänzelnden Ponys).

Apropos Karten. Es geht ja das Gerücht, dass es Leute (also Nicht-Höllengeier) gäbe, die Karten brauchen (ein echter Höllengeier braucht so etwas natürlich nicht, denn alle Wege führen nach Tönisvorst - oder war's doch Osgiliath?). Es gibt zu jeder Beschreibung eine Gebietskarte (die allesamt von Rob Lee gezeichnet und für Nicht-Höllengeier sehr brauchbar sind), die an den gegebenen Stellen durch Raumpläne ergänzt werden (so gibt es eine Karte von Hobbingen und einen Raumplan von Beutelsend). Die Karten stimmen natürlich in Details nicht mit denen in Karen Wynn Fonstads Historischem Atlas von Mittelerde überein, aber das hätte (allein aus Lizenzgründen) auch niemand erwartet (außer unserem Jüngsten natürlich, aber der zählt jetzt nicht). Nichtsdestotrotz sind sich die Karten immer noch so ähnlich, dass man sieht, dass sich auch Rob Lee sehr eingehend mit Tolkiens Roman beschäftigt hat und ausgesprochen nützliche Karten abgeliefert hat. Es gibt zudem eine neue Karte von Balins Grab, die gegenüber der in der ersten Einsteigerbox deutlich verbessert ist.

Fazit: Neun von neun Höllengeiern würden dieses Produkt kaufen, da es einfach schön ist und nahezu alles abdeckt, was man braucht, um den ersten Film bzw. das erste Buch im Spiel umzusetzen bzw. Elemente einzubauen. Wer zur Zeit des Ringkriegs (oder kurz davor oder kurz danach) spielt, wird an diesem Band nicht vorbei kommen. Und auch wer deutlich vor dem Ringkrieg spielt, wird hier sehr viel Nützliches finden (Elrond; 150 Aufstiege, falls ich es noch erwähnt habe). Der Archivgeier wollte sich zwar wegen der vielen Auslassungen erst enthalten, doch hat der Alpha dieses Minderheitenvotum in altbekannter Art ignoriert, als der Archivgeier die Frage, ob er sich das Buch denn nicht kaufen würde, mit einem verwirrten "Ja, warum denn nicht? Ich wollte doch nur..." beantwortete. Der Archivgeier hat Herrn Forbeck letztlich auch den kleinen Fauxpas mit der Breite des Brandyweins verziehen...

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